Mit „Du musst meine Hand fester halten“ (Nr. 104) legt Susanne Abel ihren zweiten großen Roman vor, in dem sie erneut das komplexe Geflecht von Familiengeschichte, Schuld und Liebe ausleuchtet. Bereits in Stay away from Gretchen hat die Autorin gezeigt, dass sie es versteht, historische Geschehnisse mit persönlichen Schicksalen zu verweben. Auch hier gelingt es ihr, eine eindringliche Geschichte zu erzählen, die weit über das Private hinausgeht und den Leser zu Fragen nach der eigenen Herkunft anregt.
Handlung und Figuren
Im Zentrum der Handlung steht wieder Tom Monderath, der bekannte Fernsehmoderator. Sein berufliches Leben ist geprägt von Erfolg und Öffentlichkeit, doch privat kämpft er mit den Schatten der Vergangenheit. Besonders das Verhältnis zu seiner Mutter Greta ist belastet. Greta trägt die Erinnerungen an eine Kindheit während des Zweiten Weltkriegs in sich, Erinnerungen, die sie lange verdrängt oder verschwiegen hat.
Nach und nach öffnet sich Greta ihrem Sohn. Dabei wird deutlich, wie sehr die Traumata der Kriegs- und Nachkriegszeit ihr Leben geprägt haben – und wie diese Wunden sich unbewusst auf die nächste Generation übertragen haben. Parallel dazu ringt Tom mit seiner Rolle als Vater, was die Handlung zusätzlich an Tiefe und Aktualität gewinnt.
Ein prägnantes Zitat fasst das Gefühl der Hilflosigkeit zusammen:
„Manchmal wünschte ich, die Vergangenheit würde endlich schweigen. Doch sie flüstert immer weiter, ob ich will oder nicht.“
Sprache und Erzählweise
Abels Sprache ist schlicht und gleichzeitig voller Emotion. Sie verzichtet auf unnötige Ausschmückungen, sondern setzt auf Bilder, die direkt ins Herz treffen. Besonders beeindruckend ist die Art, wie sie die Szenen der Nachkriegszeit beschreibt: Man spürt den Hunger, die Angst und das ständige Ringen ums Überleben.
Der Roman ist in wechselnden Zeitebenen erzählt. Die Passagen aus der Vergangenheit werden mit Episoden aus der Gegenwart verwoben, wodurch ein vielschichtiges Bild entsteht. Diese Technik macht den Roman nicht nur spannend, sondern verdeutlicht auch, wie sehr Geschichte nachwirkt.
Zentrale Themen
Ein zentrales Motiv des Romans ist das Schweigen innerhalb von Familien. Greta hat lange geschwiegen – aus Scham, aus Schuld, vielleicht auch aus Selbstschutz. Dieses Schweigen hat Spuren hinterlassen, die Tom erst langsam erkennt.
Ebenso stark thematisiert der Roman das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Der Titel „Du musst meine Hand fester halten“ ist mehr als nur eine Bitte um körperliche Nähe – er symbolisiert den Wunsch nach emotionalem Halt und Vertrauen. In einer Schlüsselszene heißt es:
„Wenn wir einander loslassen, verlieren wir uns. Nur wenn wir uns festhalten, können wir weitergehen.“
Diese Botschaft zieht sich durch das gesamte Werk und macht seine emotionale Kraft aus.
Wirkung auf den Leser
Das Buch liest sich flüssig, ist aber keine leichte Kost. Es berührt, regt zum Nachdenken an und konfrontiert den Leser mit Fragen wie: Welche Geheimnisse liegen in meiner eigenen Familie verborgen? Wie prägen uns Geschichten, die nie erzählt wurden?
Viele Leserinnen und Leser werden sich in den familiären Konflikten wiederfinden – sei es im Ringen um Nähe, im Bedürfnis nach Wahrheit oder im Umgang mit generationsübergreifendem Schweigen.
Fazit
Susanne Abel ist mit „Du musst meine Hand fester halten“ ein bewegender und tiefgründiger Roman gelungen. Er verbindet historisches Bewusstsein mit einer zutiefst persönlichen Familiengeschichte. Die einfühlsame Sprache, die glaubwürdigen Figuren und die große emotionale Spannung machen das Buch zu einer lohnenswerten Lektüre.
Wer sich für Familiengeschichten interessiert, die weit über das Private hinausweisen, wird hier eine eindrucksvolle Erzählung finden – eine Geschichte, die nachhallt und den Leser ermutigt, selbst die Hand der Liebsten etwas fester zu halten.